Spracherwerb und
Mehrsprachigkeit
Aufgrund der umfänglich für diese Thematik vorhandenen Fachliteratur, beschränke ich mich
auf Auszüge und wesentliche Aspekte in Bezug auf meine Arbeit als Logopädin.
Das Aufwachsen in Mehrsprachigkeit ist mittlerweile aufgrund von Zuwanderung in
Deutschland keine Besonderheit mehr. Es gibt hier über 200 Familiensprachen und jeder
dritte 15-jährige hat einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend.
Fachlich wird in simultaner und die sukzessive Mehrsprachigkeit unterschieden.
Simultane Mehrsprachenerwerb bedeutet, dass das Kind von Geburt an mit mindestens zwei
Sprachen aufwächst (Bilingualismus). Hierbei ist das Vermittlungsalter entscheidend. Je
jünger das Kind ist, desto einfacher erlernt es beide Sprachen.
Ein sukzessiver Erwerb erfolgt dann, wenn eine Sprache in der Familie gesprochen wird und
das Kind beispielsweise im Kindergarten eine weitere Sprache erwirbt (Zweitspracherwerb).
Häufig ist das in Migrationsfamilien der Fall. Zwischen 3 und 5 Jahren benötigt ein Kind dabei,
um die zweite Sprache zu beherrschen.
Eltern fragen sich häufig, ob es sinnvoll ist, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen oder ob
dadurch Fehlfunktionen oder Verzögerungen im Spracherwerb auftreten können. Aktuelle
Forschungen verneinen diese Hypothese. Untersuchungen weisen darauf hin, dass der
Erwerb der einen Sprache sich beschleunigend auf die andere auswirkt und darüber hinaus
die kognitive Entwicklung positiv beeinflusst. Kinder entwickeln von Anfang an zwei
verschiedene getrennte Systeme. Die Kinder haben in Tests im Bereich der selektiven
Aufmerksamkeit, analytischen Urteilen, Konzeptbildung und kognitiver Flexibilität bessere
Voraussetzungen, um das Lesen zu erlernen.
Wenn Verzögerungen durch Vermischung zweier Sprachen, beispielsweise Übertragung
grammatikalischer Regeln im Spracherwerb auftreten, sind diese meist von kurzer Dauer und
unkritisch. Werden beide Sprachen besser beherrscht, trennt das Kind beide Sprachsysteme
und kann sich problemlos auf seine unterschiedlichen Gesprächspartner einstellen.
In aller Regel ist eine simultane mehrsprachige Erziehung nicht die Ursache für
Sprachentwicklungsstörungen und bilinguale Kinder sind nicht anfälliger als andere. Wenn
eine Sprachentwicklungsstörung auftritt, weisen bilinguale Kinder diese in allen erlernten
Sprachen aus.
Für Kinder ist es beim Mehrsprachenerwerb wichtig, dass sie regelmäßig zu beiden Sprachen
Kontakt und sprachliche Vorbilder haben. Bei zweisprachigen Eltern ist es sinnvoll, dass jeder
Elternteil in seiner Muttersprache mit dem Kind kommuniziert, also mit der Sprache die er am
besten beherrscht. Unterstützend kann hier der Einsatz von Büchern oder Hörspielen sein.
Die Umgebungssprache am Wohnort ist für Kinder von besonderer Bedeutung. Sprechen die
Eltern diese schlecht, ist es wichtig Kontakt zu Muttersprachlern aufzubauen. Hier kommen
Spielgruppen, der Kindergarten oder spezielle Förderprogramme wie “Griffbereit”
oder„Rucksack“ eine hohe Bedeutung zu. Im Alltag und mit gleichaltrigen Muttersprachlern
lernen Kinder meist mühelos die Sprache. Eltern, die die Umgebungssprache ablehnen und
ihr Kind diesbezüglich nicht fördern, erschweren den Spracherwerb erheblich. Defizite im
Spracherwerb können dann bei der Einschulung zu Problemen führen und unter Umständen
schlechte Schulleistungen zur Folge haben.
Tipps für Eltern mehrsprachiger Kinder:
Sorgen Sie dafür das ihr Kind regelmäßig Kontakt zu allen Sprachen hat
Sprachvorbilder sind für Kinder in allen Sprachen wichtig
Sprechen Sie viel mit ihrem Kind, nutzen Sie (Hör-)Bücher
Verwenden Sie jeweils die Sprache die Sie am besten können, bleiben Sie authentisch
und verwenden Sie die Sprache konsequent
Ermöglichen und fördern Sie den Erwerb der Umgebungssprache
Alle Sprachen sind gleich wichtig
Sollten Sie den Eindruck haben, dass eine Sprachstörung vorliegt, sprechen Sie mit Ihrem
Kinderarzt und wenden Sie sich an eine erfahrene logopädische Fachkraft. Durch die
Anwendung spezieller Testverfahren ist eine Diagnostik und angemessene Behandlung
gewährleistet.
(Weitergehende Informationen finden Sie z. B. in der Expertise von Marion Brandl „Die kindliche Sprachentwicklung“ Freie Universität Bozen,
www.provinz.bz.it/sozialwesen)